Der Professor Doktor

Der Mann neben mir, verwickelt mich dann doch in ein Gespräch und es stellt sich heraus: er ist nicht James Bond. Das Gespräch ist aber nicht eines der unangenehmen oder oberflächlichen Gespräche über Wetter und sowas.

Er stellt sehr interessiert Fragen: Wo wir herkommen, was wir in der Türkei vorhaben und was wir in Izmir machen. Aber auch, ob unsere Erwartungen erfüllt werden oder ob es Probleme gibt und gab. Aber es fällt kein einziges Mal die Floskel, dass die Türkei doch das schönste Land der Welt wäre und überhaupt, dass alle hier gerne Leben wollen und gerne leben.

Schließlich frage ich ihn, ob er aus Ankara zurück nach Izmir fliegt oder ob Izmir sein Ziel ist. Es stellt sich raus, dass er an einer Universität in Izmir als Professor tätig ist und er in Ankara zu einem Kongress war. Viele Anzugträger in der Türkei sind so drauf, dass sie, wenn der Anzug passt, auch Positionen passend gemacht werden. Aber aus seiner Art wie er spricht und die Art wie er sich gibt, schließe ich, dass der Mann keine Laberbacke ist.

Dennoch stelle ich ihm eine für türkische Professoren eher unangenehme Frage: Wieso wird der Forschungsetat der Türkei nie vollständig ausgeschöpft?

Für mich ist das ein Unding: In der Türkei gibt es eine Forschungsetat, der in den letzten Jahren soweit nach oben geschraubt wurde, dass alle Hochschulen, die forschen möchten, genug Geld bekommen. Dabei ist das nicht nur auf Anschaffung reduziert, sondern auch für Personal. Daher ist diese Frage für Professoren sehr unangenehm.

Er fragt mich zunächst, wie ich auf solch eine Frage komme und diese Frage wurde ihm von jemandem, der nicht im Hochschulbereich tätig ist, nie gestellt. Schon mal daran gedacht, dass Forschung Wissen und Wissensvorsprung heißt?

Dann geht er darauf ein. Ich fasse mal seine Ansicht in wenige Worte: Die Professoren haben, einschließlich er, kein Interesse an der Forschung, weil dieses sie von den privaten Geschäften abhält. Also Geschäften, die außerhalb des lästigen Lehrbetriebs zu mehr Geld für den Säckel führen.

Dieses ist nur eine einzelne Meinung, aber sie erscheint mir plausibel erklärt. Ich stelle ihm noch einige Fragen, um seine Antworten ein wenig zu hinterfragen. Das von ihm gemalte Bild verfestigt sich in mir.

Forschen? In Universitäten? Steht nicht auf der Tagesordnung in der Türkei.

Was mir besonders gefällt an seiner Bewertung der Lage ist das Einbringen von Lösungen. Einen Ansatz spricht er aus, was ich bereits immer gedacht habe: Die Studierenden müssen raus aus der Türkei und mindestens ein Semester in Europa studieren. Nur so kommen neue Ideen, neue Ansätze ins Land. Nur so bekommt man Anregungen, die gewohnten Dinge anders anzupacken. Auch das, was er über sich und seine Kollegen Professoren sagt ist kaum in der Türkei zu finden. Er bezeichnet sich und seine Generation an Professoren als „Betonköpfe“. Betonköpfe deswegen, weil man Änderungen nicht zulässt und neues nicht annimmt. Insbesondere, wenn dieses von jungen und gut ausgebildeten Menschen käme. Dieser Blick auf sich selbst und die darin enthaltene kritische Selbstironie zeigt mir auf, dass es in diesem Land auch Menschen gibt, die Änderungen für nötig halten. Inbesondere Änderungen an sich selbst.

Bevor wir landen, fragt er mich, wo wir in Izmir wohnen, denn er könnte uns nach Hause fahren. Als es sich herausstellt, dass er bei uns vorbei fährt, bietet er uns die Mitfahrgelegenheit an und wir nehmen gerne dankend an.

Sitze senkrecht, Tisch hoch und anschnallen. Es geht abwärts!!

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